Nicht wie ‘alle Hunde’

 

Es stellt sich natürlich die berechtigte Frage, ob es ‘alle Hunde’ überhaupt gibt? Diese Frage stellte sich mir aber zu Anfang nicht, denn mein Hundebild war offenbar doch stark geprägt von Lassie, Struppi und ‘meinem Freund Marley’. Der mit hellseherischen Fähigkeiten ausgestattete Lassie, der superkluge Struppi und der total verspielte Marley – alle jederzeit zu allen möglichen Unternehmungen mit ihren Menschen bereit und bei großzügiger Verteilung von Leckerlies folgsam (außer Marley, der fraß das Leckerli und machte anschließend anderen Unfug). Aus irgendeinem Grunde dachte ich, so wären alle Hunde. Dazu kamen noch all die guten Tipps, die stets und ständig bei allen Hunden jederzeit und immer funktionieren…

 

Curtis aber schlotterte und bibberte:

Bei jedem Geräusch im Haus.

Beim Anlegen des Halsbandes.

Beim Holen der Leine.

Beim Öffnen der Wohnungstür.

Wenn es an der Tür klingelte (musste nicht einmal meine Tür sein).

Bei jedem Geräusch auf der Straße.

Bei jedem Menschen – Mann, Frau, Kind, Oma, Opa – schwarz gekleidet oder bunt, mit Einkaufstasche oder ohne. Egal, das Menschsein reichte.

Bei jedem Fahrrad, Roller, Dreirad, Rollstuhl.

Wenn sich eine Haus- oder Autotür öffnete oder schloss.

Wenn ein Fenster auf- oder zuging.

 

Curtis schlotterte und bibberte immer, wollte nicht losgehen – er lag auf dem Fußboden in der Wohnung und gab den toten Hund. Sobald denn endlich vor der Tür, zerrte er mich sofort an der Leine bis zu dem einen und einzigen potentiellen Pinkelplatz – wenn dort irgendetwas war (sprich: Ein Mensch, ein Geräusch): Chance vertan, wieder rein.

Curtis stieg nicht ins Auto ein. Und stieg nicht wieder aus.

Curtis fraß und trank nur, wenn es im Haus totenstill war. Ein Geräusch – vorbei. Vergiss Leckerlies.

 

Ich muss leider gestehen, dass ich Curtis zunächst keine große Hilfe war, denn Curtis hatte Todesängste und ich hörte auf “Der muss sich noch eingewöhnen”, “Da muss er durch”, “Einfach ignorieren”. Es dauerte ein bisschen bis ich gemerkt habe, dass ich meinen Hund bitterlich im Stich lasse wenn ich auf diese Ratschläge höre. Aber dann habe ich angefangen mich aufzuschlauen!

 

Als allererstes habe ich mir eine auf ängstliche Hunde spezialisierte Trainerin besorgt (anstelle von “Lass ihn doch erstmal ankommen, das ist doch alles viel zu früh! Training kannst Du später machen”).

Dann ging Curtis wieder an die Leine, immer und überall, denn Leine ist gut! (Frauchen kümmert sich und Hund kann sich entspannen)

Ich habe mir Bücher gekauft um zu verstehen, was mit meinem Hund denn sein könnte, wo seine Probleme herkommen und was ich dagegen machen kann (unter vielen anderen Dorit-Urte Feddersen-Petersen, keine leichte Kost aber ungemein bildend).

Und habe gelernt zu akzeptieren, dass er so ist wie er ist, denn es gab ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich gebe ihn zurück zur Tierschutzorganisation oder wir stehen das jetzt gemeinsam durch.

 

Aus Gesprächen habe ich mittlerweile erfahren, dass diese Hund oft zurückgegeben werden, von einem potentiellen neuen Halter zum anderen wechseln und die Abwärtsspirale kaum aufzuhalten ist. Früher oder später sind viele dieser Hunde nicht mehr in einen normalen Alltag zu integrieren und enden im Tierheim oder verbringen ihr Leben zitternd und bibbernd.

Curtis und ich lernen zusammen, jeden Tag, und Curtis kommt schon viel besser klar, kein Vergleich mehr mit dem Hund der hier vor ca. 3 Jahren einzog.

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